Suche nach desorientierten Personen – Beitrag von Lothar Schilling

• Im Mai 2023 ist ein 65-jähriger Mann aus Wildemann/Harz aus seiner Wohnung verschwunden – alle folgenden Suchmaßnahmen blieben erfolglos.

• Im Februar 2024 hat ein 73-Jähriger seine Pflegeeinrichtung in Bad Harzburg verlassen und konnte, trotz umfangreicher tagelanger Suchmaßnahmen, nicht gefunden werden.

• Knapp zwei Wochen später ist ein 75-jähriger Senior aus einer Klinik in Seesen weggelaufen – großangelegte Suchmaßnahmen über mehrere Tage blieben erfolglos.

• Ebenfalls seit Mai 2024 wird ein 66-jähriger Mann in Braunschweig vermisst, nachdem der sein Pflegeheim zu einem Spaziergang verlassen hatte.

• Seit Anfang Juli 2024 ist ein 88-jähriger Bewohner eines Pflegeheims in Hannover abgängig und wird bis heute vermisst.

Nur die aktuelle Spitze des Eisbergs/Problems … mit unterschiedlichen Umständen, unterschiedlichen Orten, unterschiedlichen Menschen – aber einem gemeinsamen Schicksal:

alle Genannten haben ihren damaligen Lebensmittelpunkt verlassen, wurden zeitnah unter großem personellen und technischen Aufwand (unter Einbeziehung von Hunde-Teams) gesucht … und blieben dennoch unauffindbar!

Frage: wenn mit herkömmlichen Mitteln nicht zu verhindern ist, dass Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt verlassen haben, in der Folge dauerhaft verschwunden bleiben … was kann man dann ggf. ändern oder tun, um solch einem Ergebnis künftig entgegenzuwirken?

Status quo

In Niedersachsen werden pro Jahr durchschnittlich etwa 7.000 Personen offiziell als vermisst gemeldet. Die allermeisten dieser Anzeigen erledigen sich innerhalb kürzester Zeit von selbst und nicht jeder Gemeldete will überhaupt gesucht und gefunden werden – sei es bspw. aus familiären oder finanziellen Gründen.

Stand Mai 2024 gelten hierzulande 1.380 Menschen als langzeitvermisst, darunter 230 Kinder, sowie 70 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren (Quelle: NDR, Niedersachsen: Rund 230 Kinder werden im Land vermisst | NDR.de – Nachrichten – Niedersachsen ).

Die Vermisstenfälle, in denen offizielle Suchmaßnahmen indiziert sind, entfallen überwiegend auf drei Personengruppen:

• Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren,

• suizidale Personen,

• mental-eingeschränkte und i.d.R. orientierungslose Personen.

In der letztgenannten Gruppe finden sich überwiegend Patienten mit Altersdemenz, bisweilen auch durchaus jüngere Menschen, bspw. mit Down- oder Korsakow-Syndrom oder ähnlichen Beeinträchtigungen.

Abgangsorte sind insbesondere Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, vergleichsweise seltener die jeweilige private Wohnung.

Wird bemerkt, dass betroffene Personen ihr gewöhnliches Lebensumfeld verlassen haben, suchen Betreuer und/oder Angehörige oftmals erst einmal selbst, bevor die zuständige Polizeidienststelle kontaktiert wird. In einer Wohnung oder einem Einfamilienhaus kann eine Absuche schnell erfolgen, in Mehrfamilienhäusern mit Kellern, Dachböden und dergleichen ist sie naturgemäß aufwendiger.

Pflegeeinrichtungen sind üblicherweise groß und unübersichtlich, vor allem wegen der Vielzahl der Zimmer, sowie der üblichen Gemeinschafts-, Sozial- und Wirtschaftsräume. Ein weiteres Problem stellt, gerade in den Nachtstunden, die wirtschaftlich-bedingte dünne Personaldecke dar – drei Pflegekräfte für dreistellige Bewohnerzahlen sind keine Seltenheit. Eine sachgerechte Absuche der Gebäude und zugehörigen Außenbereiche durch Pflege- und Betreuungskräfte ist in derartigen Fällen kaum bis gar nicht möglich.

Mit entsprechendem zeitlichen Versatz starten dann in aller Regel die polizeilichen Suchmaßnahmen seitens der zuständigen Dienststelle. Diese beinhalten im Allgemeinen zunächst die Absuche der näheren Umgebung – fußläufig und/oder mit Streifenwagen.

Dabei ist anzumerken, dass selbst ältere und gesundheitlich eingeschränkte Personen mitunter beachtliche Distanzen zurücklegen können … die allerdings von mobilen, körperlich nicht gehandicapten Demenzpatienten durchaus noch deutlich übertroffen werden (können).

Bis zum Eintreffen weiterer Einsatzkräfte, z.B. von Feuerwehren und Rettungshundestaffeln, vergeht nicht selten weitere Zeit – und bei Suchbeginn eines qualifizierten Mantrailing-Teams ist der/die Vermisste regelmäßig bereits mehrere Stunden abgängig.

Die Arbeitsgruppe Personenspürhund des Arbeitskreises der diensthundehaltenden Verwaltungen des Bundes und der Länder ist davon ausgegangen, dass einschlägige Trails noch bis zu einem (Spur-)Alter von bis zu 36 Stunden erfolgsversprechend ausgearbeitet werden können – dessen ungeachtet ist die Chance, eine abgängige Person unmittelbar anzutreffen, grundsätzlich umso höher, je zeitnaher ein PSH-/MT-Team seinen Einsatz beginnt.

Unstreitig ist solch ein Personenspürhunde-Team ein zwischenzeitlich etabliertes, probates Einsatzmittel. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit anderen Maßnahmen und Möglichkeiten wie bspw. Helikopter, Drohnen oder Rettungshundeteams Flächensuche können sie maßgeblich zum zeitnahen Auffinden beitragen.

Für sich betrachtet sind die tatsächlich realisierten Suchergebnisse allerdings vielfach ernüchternd. Bei den beiden erstgenannten Personengruppen (Suizidale und Jugendliche) ist dies bereits aus gleichsam „systemimmanenten“ Gründen der Normalfall: in aller Regel handelt es sich um mobile, körperlich nicht eingeschränkte Personen, die überwiegend gar nicht gesucht und gefunden werden wollen.

Die Gründe für fehlende unmittelbare Erfolge bei der Suche nach abgängigen Senioren/Patienten sind vielfältiger Natur:

• Bei mobilen Abgängigen, die sich in Bewegung befinden, ist der obligatorische zeitliche Vorsprung innerhalb des Zeitraums, in dem ein PSH-Team konzentriert und zuverlässig arbeiten kann, schon rechnerisch nicht aufzuholen,

• innerstädtisch verhindert nicht selten die etwaige Nutzung des ÖPNV ein Ankommen bei der gesuchten Person,

• brauchbare, also nicht-kontaminierte, Geruchsträger (GA) stehen gerade in gut-organisierten Einrichtungen oftmals nicht zur Verfügung und das Fehlen eines konkreten Sichtungsorts (pls) bedingt den Ansatz in oder vor dem zugehörigen Zimmer in einem chronologisch?kontaminierten Gebäude, das durchgängig gereinigt wird, u.U. sogar klimatisiert ist und in dem es eine Vielzahl von Ein-/Ausgängen gibt.

Eine realistische Chance, bei der abgängigen Person anzukommen, hat ein PSH-/Mt-Team eigentlich nur dann, wenn diese im näheren Umfeld des Abgangsortes (Luftlinie maximal vlt. 2 bis 3 Km) verdeckt liegt! Bei größeren Entfernungen steigt das Fehlerrisiko … und wenn nicht ‘verdeckt‘, würde die/der Vermisste durch Helfer sehr wahrscheinlich bereits gefunden, bevor ein PSH-/Mt-Team überhaupt in den Einsatz aufgebrochen ist.

Wenn denn tatsächlich eine hilfsbedürftige Person unweit ihres Abgangsorts verdeckt liegt, sollte sie dann von einem PSH-/Mt-Team aber (eigentlich) auch tatsächlich gefunden werden. Leider ist aber auch das im realen Einsatzgeschehen nicht immer der Fall, sondern wahrscheinlich eher sowas wie die Ausnahme? In der alltäglichen Praxis gibt es zuviele Beispiele dafür, dass vermisste Personen im Rahmen der indizierten Suchmaßnahmen nicht gefunden wurden, obwohl sie sich unweit ihres Abgangsortes in hilfloser Lage befanden.

Eine nicht repräsentative Auswertung von 125 Öffentlichkeitsfahndungen in Niedersachsen in den Jahren 2020 bis 2023, in die jeweils auch PSH- oder MT-Teams involviert waren, hat ergeben, dass in etwa einem Drittel aller Fälle die jeweils vermisste Person später, also nach Abschluss der gängigen (erfolglosen) Suchmaßnahmen, in einer Entfernung (Luftlinie) von nicht mehr als einem (!) Kilometer vom pls/Abgangsort gefunden wurde – in weiteren 25% der Beispiele innerhalb einer Entfernung von fünf Kilometern. Auch wenn das letztlich natürlich nichts über die von den Gesuchten zuvor tatsächlich zurückgelegte Lauf-/Wegstrecke sagt, sollte es zu denken geben, wenn in mehr als der Hälfte (knapp 60%) der Suchen ein unmittelbarer Fund (zumindest hinsichtlich der Entfernung) als realistisch und machbar erscheint, aber nicht erzielt wird … aus welchen Gründen auch immer!

Die geradezu fantastisch anmutenden Heldentaten mancher kommerziellen Mantrailing-Anbieter kann man jedenfalls getrost dem Bereich der Phantasie, überzogenen Selbstdarstellung und finanziellen Abzocke zuordnen.

Andererseits ist seriöses Mantrailing grundsätzlich ein etabliertes Einsatzmittel, von dem sich auch kein Hundeführer aufgrund vermeintlicher „wissenschaftlicher“ Erkenntnisse distanzieren würde – zumindest kein aktiver Hundeführer mit tatsächlich hinreichender persönlicher Einsatzerfahrung!

Wie zuvor bereits erwähnt, haben gerade Heim- und Pflegeeinrichtungen nicht die personelle Ausstattung für sachgerechte Suchen in entsprechenden (Ausnahme-)Fällen. Dies gilt überwiegend auch für die lokalen Polizeidienststellen, die, obwohl de jure unstreitig zuständig und ressortverantwortlich, regelmäßig organisatorisch und personell mit Vermisstensuchen überlastet sind. Insbesondere deshalb werden dann Manpower und Technik insbesondere von lokalen Feuerwehren (Behörden), THW-Ortsgruppen (Körperschaften öffentlichen Rechts) und DRK, JUH, usw. (Hilfsorganisationen) eingesetzt – also solchen Organisationen, die ebenfalls überwiegend öffentlich finanziert sind.

Zur tatsächlichen Effizienz der Szene folgendes Beispiel:

Die 2.273 aktiven Mitglieder der größten deutschen Rettungshundeorganisation BRH “Bundesverband Rettungshunde e.V.“ haben mit ihren 854 geprüften Hunden im Kalenderjahr 2023 bundesweit insgesamt 1.055 Einsätze absolviert, darunter 169 (16%) reine Mantrailing-Einsätze. In knapp der Hälfte (genau: 499) dieser Einsätze wurde die jeweils gesuchte Person anderweitig, also durch Dritte, aufgegriffen – und 306 Mal wurde der Einsatz abgebrochen. Unmittelbar durch Teams des BRH gefunden wurde eine vermisste Person insgesamt in weniger als 60 Fällen – also in unter 6% aller Einsätze, bzw., jedem 18. Einsatz! Wie gesagt: insgesamt, also bundesweit, nicht (nur) in Niedersachsen! Weniger als 60 Fälle – und wie oft davon ein Mt-Team unmittelbar gefunden hat, wird nicht verlautbart!

Immerhin veröffentlicht der BRH seine Zahlen – Respekt und Chapeau dafür! Das steht jedenfalls im Gegensatz zu anderen Organisationen, die sich diesbezüglich üblicherweise bedeckt halten und deren Vertreter und Mitglieder sich eher in Werbung mit bunten Fotostrecken in den sozialen Medien ergehen!

Irgendwelche Statistiken der niedersächsischen PSH-Staffel liegen hier ebenfalls nicht vor – nicht, was Vermisstensuchen anbetrifft und verständlicherweise schon gar nicht für den Bereich der Strafverfolgung.

Technische Möglichkeiten

In den vergangenen Jahren wurde die Effizienz von Sucheinsätzen durch technische Neuerungen erheblich verbessert. Das betrifft nicht nur die Hubschrauber der niedersächsischen Polizei (Phönix) und den Einsatz sog. IMSI-Catcher, sondern vor allem auch Drohnen, die mittlerweile sowohl von Kommunen, als auch vielen Hilfsorganisationen vorgehalten werden. Insbesondere gilt dies aber auch für die Öffentlichkeitsfahndungen in den sozialen Netzwerken, die (gefühlt) vor allem im urbanen Umfeld sehr erfolgreich sind.

Obwohl immer mal wieder angesprochen, hat sich der Einsatz von GPS-Trackern bisher, subjektivem Empfinden nach, noch nicht wirklich durchgesetzt.

Gerade für Personen mit Weglauftendenz bieten sie jedoch erhebliche Vorteile. In der allgemeinen Diskussion stößt man allerdings regelmäßig auf zwei Vorbehalte:

• ein Einsatz bei mental eingeschränkten Personen sei rechtlich nicht zulässig und

• entsprechende Technik sei teuer und ungenau.

Wie die nachfolgenden Erläuterungen belegen werden, sind beide Aussagen unbegründet!

Auf dem Markt gibt es seit geraumer Weile eine große Anzahl unterschiedlicher GPS-Tracker und – Systeme. Verfügbar sind insbesondere Armbanduhren mit GPS-Funktion, Tracker in Amulett-Form, als Gürtel- oder Sohlen-Einsatz, sowie solche Devices, die am Hand-, bzw., Fußgelenk *) getragen werden können und mit einem magnetisch gesicherten Verschluss für den jeweiligen Träger nicht abstreifbar sind.

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*) Die etwaige Assoziation mit einer elektronischen Fußfessel drängt sich auf – herstellerseits wird jedoch betont, dass nach Abdeckung mit Strumpf und Hosenbein der Tracker von betroffenen Patienten i.d.R. kaum/nicht mehr wahrgenommen wird.

Durchschnittliche Preise für Tracker beginnen bei ca. 150,00 € und reichen bis etwa 1.500,00 €, wobei nach oben allerdings kaum Grenzen gesetzt sind. Hinzu kommen die etwaigen Anschaffungskosten für das Endgerät (Smartphone), sowie die laufenden monatlichen Gebühren der jeweiligen SIM-Karten. Stellt sich die Frage, wie sinnvoll komplexe technische Features an solch einem Gerät für den hier in Rede stehenden Personenkreis sein können? Ortung ist gewollt … und automatische Sturzerkennung wäre vermutlich noch hilfreich – alles Andere vermutlich eher nicht?

Wichtig:

Bei mental-eingeschränkten Personen mit entsprechender Weglauftendenz stellen diese Geräte unstreitig Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich dar, deren Kosten komplett von der Krankenkasse des Betroffenen zu tragen sind!

Rechtliche Einordnung

In Deutschland ist die heimliche Ortung von Personen durch GPS-Tracker grundsätzlich nicht erlaubt und kann bspw. als strafbewehrte Verletzung der Persönlichkeitsrechte – z.B. gem. § 823 Abs. 1 BGB – sowie als unerlaubte Datenverarbeitung nach den §§ 28 Abs. 1 Nr. 2, 29, Abs. 1 Nr. 1 und § 44 Abs. 2 Nr. 1 BDSG angesehen werden.

Entsprechende Urteile beziehen sich allerdings nahezu ausschließlich auf hier nicht-einschlägige Sachverhalte wie bspw. die Überwachung von Partnern, Familienangehörigen oder Arbeitnehmern, z.B. auch durch Detekteien.

Demenzkranke Menschen mit gesteigertem Bewegungsdrang und hoher Weglauftendenz, die weglaufen und dann nicht wieder von selbst zurückfinden und sich so selbst gefährden, sind damit nicht gemeint. Hier überwiegen Schutz- und Fürsorgebedürfnisse, bzw. die Fürsorgepflichten von Angehörigen und/oder Betreuern gegenüber den Kranken.

Nachdem bspw. noch 2018 das Sozialgericht Oldenburg (SG Oldenburg vom 18.04.2018, S 63 KR 363/15) davon ausgegangen war, dass es sich bei einer GPS-unterstützten Uhr weder um ein Hilfsmittel im Sinne der GKV, noch um ein Pflegemittel im Sinne des SGB XI handele, sondern lediglich um ein Überwachungssystem zur Positionsbestimmung, hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG Niedersachsen-Bremen vom 17.09.2019, L 16 KR 182/18) hingegen 2019 eindeutig klargestellt, dass der in Rede stehende Tracker gerade eben nicht ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei, sondern vielmehr ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Var 3 SGB V: die GPS-Uhr sei ein Hilfsmittel, das dem Ausgleich und der Abmilderung der Folgen der geistigen Behinderung, sowie den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens diene und insbesondere eine eigenständige Mobilität und höhere Bewegungsfreiheit eröffne. Diesen Zwecken stehe die ständige Lokalisierbarkeit, die abstrakt einer freiheitsentziehenden Maßnahme gleichkommen könnte, nicht entgegen.

Abseits realitätsferner juristischer Hochseilakrobatik liegt es auf der Hand, dass eine theoretische/fiktive Einschränkung grundsätzlicher Persönlichkeitsrechte behinderter Personen im Bedarfsfall (i.e. Vermisstenfall mit potentieller Gefahr für Leib und Leben des/der Betroffenen) zurücktreten muss gegenüber der Möglichkeit unverzüglicher Ortung und Rettung aus einer etwaigen Notlage. Zumal die Alternative – also das permanente Abschließen von Türen (“einsperren“) und ständige persönliche Begleitung/Überwachung – den wesentlich rigoroseren Eingriff in Grund- und Persönlichkeitsrechte darstellen würde. Das Bundessozialgericht hat letztlich die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil (BSG vom 10.09.2020, B 3 KR 15/19 R) bestätigt. Einschlägige gesetzliche Grundlagen in diesem Zusammenhang sind im Übrigen z.B. die UN?Behindertenrechtskonvention, die bspw. in Art. 20 darauf abzielt, die persönliche Mobilität Betroffener zu ermöglichen und zu erleichtern und in Art. 9 den Abbau von Hemmnissen in der Mobilität fordert.

Auch bei der Versorgung mit Hilfsmitteln und technischen Hilfen nach dem SGB IX geht es um die Unterstützung und Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen.

Anspruchsgrundlage für die Versorgung mit der begehrten GPS-Uhr ist §33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Norm können Hilfsmittel drei unterschiedlichen Zielrichtungen dienen: der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung (1. Alt), dem Vorbeugen vor Behinderung (2. Alt) oder dem Behinderungsausgleich (3. Alt). Vorliegend kommt allein ein Anspruch nach der 3. Option im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs in Betracht.

Bei der Entscheidung über die Versorgung einer mental-eingeschränkten Person mit einem GPS-Tracker ist an die Milderung der Folgen von Weglauftendenz, Orientierungslosigkeit und der Tendenz zu selbstgefährdendem Verhalten anzuknüpfen. Dass bei Demenzpatienten oder anderweitig mental-eingeschränkten Betroffenen das ausdrückliche Einverständnis des jeweiligen rechtlichen Vertreters, üblicherweise aus der Familie, ansonsten des bestellten Betreuers, vorliegen muss, ist unstreitig und sollte kein Problem darstellen.

Bleibt offenbar die Frage, ob dieser gesetzliche Vertreter notwendigerweise auch jeweils die physische Verfügungsgewalt über das betreffende Endgerät (Smartphone) innehaben muss – oder ob diese bspw. auch bei Funktionsträgern der jeweiligen Pflegeeinrichtung liegen kann?

Wie gesagt: es geht nicht um laufende Überwachung, sondern um Ortung im Notfall!

So oder so dürfte auch dieser Aspekt jedenfalls kein unüberbrückbares Hindernis darstellen – Konstruktions- und Lösungsmöglichkeiten gibt es einige, unabhängig vom tatsächlichen Aufenthaltsort des betreffenden rechtlichen Vertreters.

Fazit

Insbesondere – aber nicht nur – bei desorientierten Personen mit Weglauftendenz ist der Einsatz von GPS-Trackern sinnvoll, um das Antreffen Abgängiger schnellstmöglich zu gewährleisten und somit potentieller Lebensgefahr bestmöglich zu begegnen.

Rechtliche Vorbehalte gibt es letztlich nicht und finanzielle Ausreden eigentlich auch nicht – schon gar nicht bei indizierter und höchstrichterlich entschiedener Kostenübernahme durch die jeweils zuständige Krankenkasse.

Selbstverständlich machen Tracker aber auch für mental oder körperlich eingeschränkte Senioren Sinn, bei denen bislang keine eindeutige Weglauftendenz festgestellt wurde. Angesichts der aktuellen Pflegekostensätze fallen etwaige Anschaffungs- und Betriebskosten, die ggf. nicht von der Krankenkasse übernommen werden, de facto nicht ins Gewicht!

Letztlich sind auch grundsätzlich gesunde Personen bspw. vor Unfällen, Stürzen oder Schwächeanfällen nicht gefeit. In derartigen Situationen wäre dann bspw. auch die vorerwähnte automatische Sturzerkennung absolut hilfreich! In hilfloser Lage droht gerade älteren Menschen bei nicht rechtzeitigem Fund akute Lebensgefahr – und dies nicht nur im Winterhalbjahr, sondern aufgrund von Erschöpfung und/oder Unterkühlung durchgängig das gesamte Jahr über.

Rettungseinsätze zu Vermisstensuchen, also die Tätigkeit von Polizei, Feuerwehren, THW, Hilfsorganisationen oder Rettungshundevereinen im Rahmen der sog. Gefahrenabwehr erfolgen für Betroffene und Angehörige grundsätzlich kostenlos und unentgeltlich.

Und das ist auch gut und richtig so!

Dennoch verursachen sie natürlich Kosten – angefangen von Lohnausgleichsleistungen für Angehörige der freiwilligen Feuerwehren, bis hin zum Hubschraubereinsatz, bei dem jede einzelne Flugstunde bereits ca. 10.000 € kostet. Kostenträger ist dabei die öffentliche Hand, bzw., die Gesellschaft – also der Steuerzahler!

Müssten die jeweiligen Angehörigen, gesetzlichen Vertreter oder Betreuer derartige Kosten tragen, wären deren Interesse an und Offenheit gegenüber technischen Möglichkeiten wie GPS-Trackern vermutlich ungleich größer als sie es aktuell offenbar (noch) sind?

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